… war ein wahrscheinlich ziemlich typischer deutscher Philosoph des 18. Jahrhunderts: Ein protestantischer Preuße pietistischer Prägung, der im Dreieck Berlin, Halle a. d. Saale, Frankfurt an der Oder gelebt und gewirkt hat. Obwohl Wolff aus Halle vertrieben war, als Baumgarten (seinem ältesten Bruder folgend) an der damaligen preußischen Vorzeige-Universität studierte, konnte er sich dem Einfluss der modernen, methodisch und praktisch orientierten Wolffschen Philosophie nicht entziehen. Erstaunlicherweise bot sich ihm in der Metaphysik dieser von Leibniz inspirierten Schule (zu der er ein spätes, aber einflussreiches Lehrbuch geschrieben hat) die Basis, seinen Neigungen in ‚wissenschaftlicher‘ Form nachzugehen: Er, der selbst lateinische Gedichte verfasste, hat eine in Deutschland bahnbrechende allgemeine Ästhetik geschrieben (natürlich auch auf Latein), war aber auch auf dem Gebiet der praktischen Philosophie engagiert (und persönlich unzweifelhaft ein frommer Christ, der in seinen letzten Tagen, als ihm die Tuberkulose langsam den Atem nahm, nichts mehr von der Philosophie, sondern nur noch von seinem Heiland wissen wollte).
Es ist für die Zeit ebenso charakteristisch wie für die Weite von Baumgartens Geist und den Umfang seiner Talente, dass er darüber die mathematischen Naturwissenschaften keineswegs verschmähte, sondern in Frankfurt beispielsweise Physik nach aktuellen, mathematisch anspruchsvollen Lehrbüchern gelesen hat. Es gibt kein Porträt von ihm und über sein Privatleben wissen wir nicht viel, mangels erhaltener Briefe ist die nicht allzu umfangreiche Lebensbeschreibung durch seinen Schüler Georg Friedrich Meier beinahe die einzige Quelle – denn das Versteckspiel, dass er in seiner mäßig erfolgreichen moralischen Wochenschrift Philosophische Brieffe von Aletheophilus mit seiner Person treibt, ist schwer zu entschlüsseln. So ist er, der (vermeintlich?) trockene Stubengelehrte, immer noch ein faszinierender Unbekannter … und es ist vielleicht gar nicht verwunderlich, dass Voltaire ihn in der Gestalt des Doktor Ralph im Candide zum Muster des deutschen Hochschullehrers genommen haben soll.
… war ein Astronom und Publizist avant la lettre aus der großen Baseler Mathematiker-Familie der Bernoulli (deshalb muss man die »III« in seinem Namen mitführen); Fritz Nagel nennt ihn in seiner Kurzbiografie im Historischen Lexikon der Schweiz zu Recht einen ›Pionier des wissenschaftlichen Fachjournalismus‹. Als Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften (es gab eine Art swiss connection: L. Euler, J.G. Sulzer, Bernoulli, Lambert, Joh. Bernhard Merian, Jakob Wegelin …) und Leiter der Sternwarte war Bernoulli viele Jahre ein enger Mitarbeiter Lamberts und Freund – falls Lambert in Berlin dauerhaft Freunde hatte. Neben den von Nagel erwähnten wissenschaftsjournalistischen Publikationen hat Bernoulli auch eine Sammlung kurzer Reisebeschreibungen (von der auch Kant ein paar Bände besaß) und manches andere veröffentlicht. Lambert hat ihn gelegentlich ziemlich harsch kritisiert (z.B. in seinem Brief vom 12.3.1773), und trotzdem hat Bernoulli Lamberts Manuskriptnachlass treulich verwaltet und vieles Wichtige daraus veröffentlicht (man muss sich klar machen, dass Hans Werner Arndt zu Lebzeiten über Bernoullis Editionstätigkeit eigentlich nicht hinausgekommen ist und sich sogar damit begnügt hat, von den fünf Bänden der deutschen wissenschaftlichen Korrespondenz Lamberts nur den ersten nachzudrucken).
Dass er sich öffentlich nur etwas rätselhaft über die Bibliotheken geäußert hat, an die er den riesigen Korrespondenznachlass seiner Familie und auch die Manuskripte Lamberts schließlich verkaufen musste, hat allerdings dazu geführt, dass sie etliche Jahrzehnte lang verschollen waren. Dennoch ist es keine späte Rache der Familie an dem vielseitigen, hilfsbereiten und kommunikativen Mann, wenn nun der Briefwechsel von Johann (III) selbst nicht von der Bernoulli-Edition aufbereitet und veröffentlicht wird (er war einfach kein bedeutender Mathematiker mehr, von denen die Familie aber genug zu bieten hat). Über die Beziehungen vieler Wissenschaftler und Gelehrter und den alltäglichen (Berliner) Wissenschaftsbetrieb würde man daraus einiges lernen – harren wir der Digitalisierung der reichen Bestände der Handschriftenabteilung der UB Basel.
… könnte man auf recht verschiedene Weisen charakterisieren: als niederländischen Kafka-Experten zum Beispiel oder als Fachmann für die Geschichte der Phänomenologie und besonders ihres Begriffs (denn darüber hat er 1991 bei Karl Schuhmann in Utrecht promoviert) oder als Literaturlokalhistoriker wegen seiner Arbeiten zu Martinus Nijhoff, dem Kinderbuchautor W. G. van de Hulst, ›Utrecht Dada‹ und einer ganzen Reihe weiterer Publikationen mit Ortsbezug (wussten Sie, dass Thomas Bernhard die ersten Lebensmonate in den Niederlanden verbracht hat? Niels ist den Spuren nachgegangen). Er bereitet eine Biographie des niederländischen Dichters Halbo C. Kool (1907-1968) vor, arbeitet über Kafkas Beziehung zur Philosophie und findet immer noch Zeit, Entdeckungen für unseren Lambert-Supplementband zu machen
(er hatte schon unglaublich viel Material für den Kommentar zum Monatsbuch zusammengetragen, als er 2009 bis 2011 an der Arbeitsstelle Lambert-Edition angestellt war). Schade, dass seine Homepage nicht mehr aktuell ist; Niels' Vielseitigkeit ist anders als mit dynamischen Mitteln eigentlich kaum darstellbar. Und seine Energie und Hilfsbereitschaft (heimlich arbeitet er in Den Haag noch an der Erschließung eines Archivs …) ist gar nicht zu beschreiben.
… ist ein Spezialist für Kants praktische Philosophie, vor allem für dessen merkwürdiges Eherecht, worüber er bei Christoph Horn in Bonn promoviert hat (das Projekt hieß »Würde der Menschheit und Zweck der Natur: Eine Rekonstruktion von Kants Eherecht und Sexualethik«). Angestellt ist er allerdings seit April 2014 an der Uni Mannheim, wo er also auch lehrt. Er hat unter anderem einen schmucken Abschluss der University of St Andrews (M.Litt.), auch sonst schon allerhand Auszeichnendes und bemüht sich mit viel Scharfsinn und Forscherfleiß, Kants Auffassung, zwei Menschen (unterschiedlichen Geschlechts) würden sich beim ganz gewöhnlichen Geschlechtsverkehr gegenseitig zur Sache machen, dadurch, dass sie sich vom anderen zur Sache machen ließen, das Recht der Menschheit in ihrer Person verletzen und dieser schwere Defekt jener beliebten, vermeintlich meist harmlosen Handlung würde durch die Schließung einer monogamen und auf Dauer angelegten Ehe (und nur dadurch) geheilt – diese Vorstellung des berühmten Königsbergers also bemüht sich Martin plausibel, verständlich und argumentativ so stark wie möglich zu machen, ohne dabei Kant alles aufs Wort zu glauben.
Das ist nicht einfach. Wenn es jemandem gelingt, dann Martin, denn er hat nicht nur alle einschlägigen Texte Kants gelesen und verstanden (wenigstens ebenso gut wie die Mitbewerber), sondern er geht auch in zweckmäßiger Weise auf die moralphilosophischen und naturrechtlichen Quellen (Baumgarten, Meier, Achenwall, …) zurück, auch die lateinischen, ohne die schon die Terminologie des Alleszermalmers (wenn man bei seinem schwankenden Wortgebrauch von einer solchen sprechen kann) den Heutigen kaum begreiflich ist. Alle warteten gespannt auf den Abschluss der Dissertation, der lange unmittelbar bevorzustehen schien … am letzten Tag des zehnten Monats AD 2019 war es endlich so weit. Spätestens jetzt werden sich die Mitglieder der Kant-Gemeinde den Spitznamen „Ehe-Brecher“ merken müssen (glücklicherweise steigt er nicht zum »Diplom-Ehe-Brecher« auf, sondern zum Dr. phil.)!
… war (zu) viele Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter und rechte Hand des Inhabers des Mannheimer Lehrstuhls Philosophie I. Volker hat nicht nur den reibungslosen Betrieb auch unter widrigsten Umständen sichergestellt und die Beziehungen zu allen Universitätsstellen so gepflegt, dass man für die Anliegen des Lehrstuhls immer ein offenes Ohr hatte, sondern jedem, der den Weg in seine Sprechstunde gefunden hat (und das waren nicht wenige) mit gutem Rat in allen Phasen und bei allen Problemen des Philosophiestudiums beigestanden. (Dass seine Studenten sein Engagement zu schätzen wussten, hat sich nicht zuletzt in der mittlerweile legendären Abschiedsparty gezeigt, die sie für ihn geschmissen haben.) Weil er unablässig daran gearbeitet hat, seine Lehre (zu Klassikern der christlichen Philosophie, zu Locke und anderen Großen der frühen Neuzeit und natürlich zu Kant) zu verbessern, hat er sich systematisch in Hochschuldidaktik weitergebildet. Nach seinem (wie sich gezeigt hat: vorläufigen) Ausscheiden aus dem Unibetrieb im Sommer 2014 hat er damit die Brücke geschlagen zu einem Zweitstudium „Supervision und Beratung“.
Eine Zeit lang war er in Münster (Westf.) in der Übergangsphase zur selbständigen Beratungstätigkeit. Gerade im Hochschulbereich gäbe es viele, die von Volkers Beratung in kritischen Berufsphasen (und möglichst bevor sich ungesunde Strukturen verfestigen) sehr profitieren könnten. Aber schließlich hat man an der Universität Bielefeld erkannt, welche Qualitäten Volker in Forschung und Lehre hat – seine Freunde waren davon nicht wirklich überrascht. Seit dem Wintersemester 2017/18 lehrt er an der Universität Bielefeld in der Fakultät für Erziehungswissenschaften, hauptsächlich zu (im weiten Sinn) philosophischen und anderen Grundlagen von Beratung. In Bielefeld scheint man sich nicht nur seine Mitarbeit dauerhaft gesichert zu haben; man munkelt auch schon über den nächsten großen Qualifikationsschritt. Irgendwann kommt Volker doch noch dahin, wo er hingehört: auf einen Lehrstuhl.
Als Mathematiker, Astronom und Physiker (vor allem auf dem Gebiet der Optik) hat er es mit seinen Beiträgen in die Standarddarstellungen der Geschichte der betreffenden Disziplin gebracht; die Philosophiegeschichte tut sich schwer mit ihm: Gewiss ist seine als Grundlegung der Wissenschaften gedachte Philosophie nicht einfach ein ‚Vorläu fer‘ der Kantischen – ist sie vielleicht als Alternative anzusehen, die sich nur aus kontingenten Gründen nicht durchgesetzt hat? Lambert war ein problemorientierter Denker, es fehlt an gelungenen Darstellungen, was er mit seiner Philosophie im Ganzen wollte. Die beste Einführung in sein Denken ist wohl die Selbstrezension seines Neuen Organon in den Nova acta eruditorum … von der es glücklicherweise auch eine zeitgenössische deutsche Übersetzung gibt (wiederabgedruckt in Philosophische Schriften , Bd. X.3, S.1353–1383). Vielleicht sollte man in dieser Situation, um Lambert-Studien zu fördern, nicht gerade noch mehr Material aus seinem handschriftlichen Nachlass ausbreiten. Immerhin kann dieser noch besser erschlossen werden, und für eine Philosophiegeschichte seiner Epoche ist es allemal wichtig, genau zu sehen und zu verstehen, wie mathematische und experimentelle Naturwissenschaft und Philosophie von einem der führenden Köpfe parallel bearbeitet werden.
… ist unbefristet der Logiker des Philosophischen Seminars der Universität Mannheim (wenn er dort auch zu den unterschiedlichsten Zwecken und Dienstleistungen ge- und missbraucht wird, wovon er manches Lied singen kann). Er veröffentlicht wenig, weil er die unnachsichtigen Standards, die er an philosophische Texte (und leider auch mündliche Äußerungen) heranträgt, auch bei den eigenen keinen Augenblick vergessen kann. Umso mehr freue ich mich, einen neuen Aufsatz von Kai Wehmeier und ihm, der demnächst in
Topoi erscheinen wird (online seit 26.10.2016), allen Logikern und sonstigen Menschen, die den Titel der Arbeit verstehen, zur kritischen Lektüre empfehlen zu können: „Still in the Mood – The Versatility of Subjunctive Markers in Modal Logic“.
Im Herbstsemester 2016 gab sich Helge große Mühe, einigen Mittelbau-Kollegen und -Exkollegen in einem Privatissimum zu erläutern, welche Bedeutung der richtige Umgang mit dem Konjunktiv in der Modallogik hat – die man deutlich einsieht, wenn man Kripkes berühmtes Modalargument gegen die Frege-Russell-Theorie der Eigennamen rekonstruiert (bzw. Helges Rekonstruktion folgt). Auch für die philosophiehistorische Einordnung von
Naming and Necessity ist sein Vortrag außerordentlich erhellend:
Kripkes Vorschlag, Sätze zu betrachten, die a priori gewonnene Erkenntnisse aussagen und (dennoch) von kontingenten Sachverhalten handeln (oder auch a posteriorische Erkenntnisse von notwendigen Sachverhalten …), hat etwas mit Kants Versuch gemein, die Möglichkeit ›synthetischer Sätze a priori‹ zu zeigen. (Unsere Versuche, Helge zum Ausformulieren und Aufschreiben seiner Einsichten zu bewegen, sind bislang leider fruchtlos.)
Zu Rückerts Eigenschaften, die ihn auch für etwas schlampigere (oder fachlich liberalere oder einfach schlechtere?) Philosophen zu einem Kollegen machen, wie man ihn in der näheren Umgebung unbedingt braucht, gehört seine Lesegeschwindigkeit bei Belletristik: Er hat jederzeit Empfehlungen für gute Bücher parat, auch für Neuerscheinungen, auch ausländische, und kann, ohne zu viel zu verraten, sagen, was daran lesenswert sein könnte. Hinterher kann man sich bei einem Glas Fassbrause sehr schön mit ihm streiten, wenn das Buch doch nicht das gehalten hat, was man sich nach so einer Empfehlung von ihm (dem Buch) versprochen hatte!
… war Spezialist für die sprachanalytische Philosophie der Literatur und Ästhetik – er hat eine hervorragend lesbare und auch häufig zitierte Dissertation über die Kritik der Interpretation (Paderborn 1995) geschrieben (bemerkenswert ist darin unter anderem die argumentative Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Positionen), zusammen mit Reinold Schmücker hat er bis zuletzt bei mentis die inhaltlich und gestalterisch sehr gelungene Reihe „KunstPhilosophie“ herausgegeben (einige der besten Cover hat er selbst entworfen, auch wenn’s nicht im Buch steht) – hatte sich aber überreden lassen, im Jahr 2005 in Mannheim die Aufgabe zu übernehmen, die von Hans Werner Arndt unfertig hinterlassene Edition von Lamberts »Philosophischen Schriften« abzuschließen. Ohne Axels Professionalität, seine Geduld, seine Klugheit und seine Zielstrebigkeit wäre das in drei Jahren nie und nimmer zu schaffen gewesen.
Diese Erfahrung unserer gemeinsamen Arbeit an diesem Projekt werde ich ebenso in dankbarer und wehmütiger Erinnerung behalten wie die vielen Gespräche über Philosophie, Musik (er hat mich mit Beethovens letzten Klaviersonaten bekannt gemacht, aber auch versucht, mich für die Pet Shop Boys zu begeistern), Wein, den Universitätsbetrieb (dem er sich, nicht zu seinem Schaden, beizeiten entzogen hatte), die Literatur, Typographie und das Leben an sich seit den Bochumer Tagen, als wir bei Werner Strube studiert und gearbeitet haben – und nicht zuletzt Axels italienisch inspirierte Kochkunst! Ich habe von Axel viel gelernt (ich weiß nicht, ob ich mich so schnell getraut hätte, ihm diese Homepage zu zeigen …), er ist viel zu früh gestorben und wird mir und allen, die ihn gekannt haben, sehr fehlen.
… ist ein Bochumer Philosoph, der auf dem Gebiet der Philosophie der Literatur und der Literaturwissenschaft, der sprachanalytischen Ästhetik und zur Geschichte der Ästhetik arbeitet. Er sitzt seit längerem an einer vergleichenden Darstellung prägnanter ästhetischer Theorien des 18. Jahrhunderts, für die er eine eigene, dem Differentialismus verpflichtete Methodik entwickelt hat, die Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeitet, ohne eine chimärische geradlinige Entwicklung (nach biologischem Modell) konstruieren zu wollen. Dass er dieses Buch noch nicht veröffentlicht hat, liegt nur an seinem scharfen kritischen Blick; er entdeckt im eigenen Text immer wieder Dinge, die sich noch besser, noch genauer, noch klarer sagen lassen – und wird nicht müde, dass auch zu tun.
Die potenziellen Leser – alle, die sich für die Ästhetik zwischen Shaftesbury und Kant interessieren – können nur hoffen, dass Strube bald mit dem Erreichten zufrieden ist oder wenigstens seinen Frieden macht, denn für das systematische Verständnis jener historischen Theorien des Schönen und der Kunst wird dann lange kein Buch in deutscher Sprache nützlicher und hilfreicher sein.
Auch das ist eine kleine Baukasten-Homepage, die leider nicht ganz so bescheiden daherkommt wie meine erste.
Letzte Änderung:
17.11.2024, 14:15 Uhr
© Armin Emmel